Aus dem Tagebuch der Hilde S. (Mannheim 1928/29)

– Hilde S. und eine Seite aus ihrem Tagebuch.

Die Abiturientin Hilde S. ist in den Theaterschauspieler Fritz K. verliebt. Abend für Abend wartet sie vor dem Mannheimer Nationaltheater.

 Langsam gelingt es ihr, in kennenzulernen, da eine Freundin von ihr als Dienstmädchen bei ihm angestellt wird. Bis sie ihr Ziel, einen Kuss von ihm, erreicht hat, gibt es ja auch noch andere hübsche Schauspieler… Hilde schreibt alle ihre Gefühlswirren in ihr Tagebuch, in einer Sprache, die an „Das kunstseidene Mädchen“ erinnert. Dieses Tagebuch gibt einen unmittelbaren Einblick in die Theaterszene der 20er Jahre, inklusive betrunkener Schauspieler und Horden von verliebten Mädchen.

 

Auszug 1:

Tino kommt ganz nahe zu mir. ‚Bekomme ich jetzt ein Busserl?‘, fragt er. ‚Ich gebe nicht‘, sage ich, deshalb nimmt er. Im Nu hat er mich in den Armen. Er küsst, wie ich nicht glaubte, daß man küssen kann. Unsre Zungen sind wie angekettet. Lange, vielleicht Minuten hatte er mich geküsst. Er zittert ganz, er ist so leidenschaftlich, dass er kaum mehr sprechen kann. ‚Hilde‘, stößt er nur immer wieder hervor. Dann lehnt er sich zurück und sieht mich ganz bewundernd an. ‚Wie du küssen kannst‘, sagt er. ‚Du bist ganz anders als die andern.‘

Auszug 2:

Die Straßenbahn kommt. Er gibt zuerst Liesel die Hand, dann mir. Er zieht den Hut ganz tief und gibt mir die Hand. Er kommt ganz nahe mit dem Gesicht an meines. Sein Haar ist ganz vor meinen Augen. Unter den Augen hat er ganz breite schwarze Ringe. Seine Zähne habe Lücken, das sah ich heute zum ersten mal. Aber das sehe ich nicht mehr, ich bin ganz erregt jetzt. Er steigt in die Straßenbahn. Er winkt und zieht den Hut, während er dem Schaffner das Geld gibt. Wir winken ihm auch. Er sieht goldig aus. Er hatte seinen Schlappdeckel auf und Knickerbocker an und seinen Wintermantel, den zu 250 M.

Fritz K., Joachim Mühling und Valentin Haller

Drei Schauspieler, mit denen Hilde sich näherkommt…