Eine Verschwörungstheorie vor 168 Jahren

Im Sommer 1848 wütete die Cholera in Russland; erst in Moskau, dann in St. Petersburg. Wie bei vielen schrecklichen Ereignissen wurden Schuldige gesucht.

Menschen in Stress-Situationen fühlten sich entlastet, wenn sie eine Erklärung für das Böse erhielten, das ihnen widerfährt. Daraus resultiere ihre große Anziehungskraft. Verschwörungstheorie

Im Tagebuch einer Frau Randel aus Berlin vom Sommer 1848, das ich im Original bei Ebay verkauft habe, wird darüber berichtet. Frau Randel ist nach St. Petersburg gereist, um ihre vier Kinder zurückzuholen, die ihr Mann, der Maler Friedrich Randel, nach der Trennung entführt hat.

Als Sündenböcke werden die Polen ausgemacht, die zu dieser Zeit an antirussischen Aufständen  beteiligt sind. Durch welche Maßnahme die teils tötlichen Übergriffe auf unschuldig Verdächtigte beendet wurden, könnt ihr hier lesen:


Sonnabend, den 1. Juli 1848.

Man hört nichts weiter als von Cholera sprechen. Unter der niederen Klasse hat sich allgemein der Glaube verbreitet, es sei gar nicht die Cholera, man streue nur heimlich auf den Märkten, wo Gemüse und Lebensmittel verkauft werden, so wie auch in den Fleischerbuden etc., Gift, und meinen, dies gehe von den Polen aus, die es aus Hass täten.
Es kommt deshalb oft vor, dass sie ganz unschuldige Menschen, die ihnen verdächtig scheinen, festhalten und misshandeln. Einen Stubenmaler haben sie, da sie gelbe Farbe und Bleiweiß bei ihm fanden, welches sie auch für Gift hielten, geradezu totgeschlagen, ebenso vor einigen Tagen auf dem Andreischen Markt, wo sie einen Mann, der weißes Pulver gestreut haben soll, so schlugen, dass er am andern Tag gestorben ist. Selbst die Polizei, die ihm zu Hilfe kommen wollte, wurde gemisshandelt.
Den 4 Anführern wurden dafür jedem 300 Ruten als Strafe zuerkannt; dieselbe sollte am andern Tage auf dem Markt vollzogen werden. Der erste hatte sie auch schon bekommen und beim zweiten war der Anfang gemacht, als der Kaiser erschien. Es wurde eingehalten; er verzieh den andern, hat sie aber alle ganz gehörig und derb heruntergemacht und ihnen gesagt, ob sie denn noch nicht genug an der Strafe hätten, die ihnen Gott für ihre Sünden schicke. Sie sollten lieber zu Gott bitten, dass er das Unglück abwenden möge usw. Diese Rede hat auch gewirkt, und man hört nichts von dergleichen Vorfällen mehr.“